"Mut zum Leben" war der prägnante Titel des diesjährigen Altenpflegekongresses, den der Sozialhilfeverband Bruck-Mürzzuschlag am 28. Jänner 2016 zum mittlerweile 10. Mal ausrichtete. Neben zahlreichen Ehrengästen aus Politik und Sozialwesen konnte Geschäftsführer Peter Koch dabei auch die 5.000ste Kongressbesucherin begrüßen und mit einer symbolischen roten Rose überraschen. Aufgrund des hervorragenden Rufes, den diese Veranstaltungsreihe inzwischen in der Branche genießt, war der Kongress auch diesmal bereits seit November ausgebucht und das Brucker Kulturhaus wieder bis auf den letzten Platz besetzt. Humorvoll und eloquent führte der Unterhaltungskünstler Martin Kosch durch das hochkarätig besetzte Programm, in dem sich unter anderem der Arzt und Publizist Dr. Stein Huseboe, Sexualassistentin Nina de Vries sowie der Psychologe Dr. Georg Fraberger dem Thema „Mut zum Leben“ aus verschiedenen Blickwinkeln annahmen. Die selbst mit 54 Jahren an Demenz erkrankte „Demenz-Lobbyistin“ und Buchautorin Helga Rohra berührte neben fachlichem Input in ihrem Vortrag das Publikum auch emotional mit ihrem ganz persönlichen Mut zum Leben ebenso wie der 92jährige Heimbewohner und ehemals erfolgreiche Segelfliegerpilot Johann Urschitz im Interview.
Als spezielle Hommage an das runde Jubiläum „übersetzten“ die beiden Freihandzeichner Alexander Czernin und Paul Tontur das Geschehen ins Bildliche und begeisterten zuletzt Besucher und Veranstalter mit einer grafischen Verdichtung und Visualisierung des gesamten Kongresstages. Eine der treffend auf der Leinwand verewigten Publikumsreaktionen lautete: „Großartig - auf noch viele weitere …!“
Helga Rohrer
Geboren 19.04.1953.
Dolmetscherin im Fachbereich Neurologie.
Mit 54 Jahren Demenzdiagnose.
2011 Bestseller: „Aus dem Schatten treten - Warum ich mich für die Rechte für Demenzbetroffene einsetze“.
Vorsitzende der EU Arbeitsgruppe der Menschen mit Demenz.
Im Vorstand von Alzheimer Europa u. DAI (Dementia Alliance International).
Ehrenamtspreis Deutschland. Botschafterin Deutschlands für Internationales Engagement.
Vortrag: Ein gelungenes Leben mit Demenz
Eine Demenzdiagnose ist nie das Ende. Erleben Sie einen Perspektivwechsel! Helga Rohra gibt Ihnen Einblicke in die Gedanken und Gefühlswelt eines Menschen mit Demenz. Erfahren Sie aus erster Hand, vor welchen Herausforderungen man mit dieser Diagnose steht, welche Aktivierungsmöglichkeiten es gibt und wie Inklusion funktioniert.
Dr. Stein Husebø
International anerkannter Arzt, Vorleser und Publizist. Schwerpunkte: Schwerkranke und Sterbende, Palliative Care, Schmerztherapie, Ethik und Kommunikation am Lebensende.
Früher Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin an der Universitätsklinik Bergen, Initiator und Leiter des ersten multidisziplinären Palliativteams und Schmerzklinik in Skandinavien.
Mitbegründer der Europäischen Gesellschaft für Palliative Care 1989.
Seit 2003 Gastprofessur an IFF (Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung – Universität Klagenfurt/ Wien). Deutscher Schmerzpreis 2000.
Seit 2006 Leiter des Europäischen Projektes: Würde im Alter – Eine Lebensgarantie. 6 Kinder und 9 Enkelkinder.
Schwerpunkte:
Wanderungen zwischen Leben und Tod
Wann ist der Patient sterbend? Was sind unsere Aufgaben?
Schwierige Gespräche und Entscheidungen
Die letzen Tage und Stunden
Wie überleben wir als Helfer?
Nina de Vries
Geboren 1961 in Holland. Ausbildung in Körperarbeit und Sexualpädagogik. Sie lebt seit 24 Jahren in Deutschland und ist seit 16 Jahren als Sexualassistentin tätig, seit ca. 12 Jahren fast ausschliesslich für Menschen, die schwerst mehrfach behindert sind. In der Schweiz hat sie 2004 im Auftrag der Fachstelle für Behinderung und Sexualität in Basel SexualassistentInnen ausgebildet. Weiterhin arbeitet sie seit Jahren mit MitarbeiterInnen, die Menschen mit Beeinträchtigungen assistieren. Sie wohnt in Potsdam bei Berlin.
Vortrag: Wohlbefinden durch Nähe und Berührung
Interaktiven Vortrag für Professionelle, die mit Menschen mit einer Beeinträchtigung arbeiten.
Nina de Vries
“Die Welt soll durch Zärtlichkeit gerettet werden.” Dostojewskij (1821 – 1881) russischer Autor
Essen, Trinken und Schlafen sind menschliche Grundbedürfnisse. Und Berührung? Brauchen wir das auch? Ist das ein wesentliches Bedürfnis? Von Anfang an begreift ein Mensch seine Umwelt durch berühren/ tasten. Durch anfassen und erfühlen. Allein über unsere Körperhaare können rund 250 millionen Rezeptoren aktiviert werden.
Bei einer wohlwollenden Berührung schüttet der Körper eine Kaskade an Hormonen aus.
Insbesondere Oxytocin. Das Hormon wirkt beruhigend, reguliert Stress und entspannt die Muskeln. Die Herzfrequenz sinkt, das allgemeine Wohlbefinden steigt.
Wir leben in einer körperängstlichen Kultur. Berührungen sind Tabu oder übersexualisiert.
Viele von uns kompensieren ihr Berührungsdefizit über z.B. Geld, soziale Anerkennung oder Arbeit. Aber wie geht es uns wirklich damit? Und was ist, wenn das nicht (mehr) möglich ist?
In der pflegerischen oder jeglichen anderen Arbeit mit Menschen, die eine Assistenz benötigen, begegnen wir zwangsläufig auch dem Thema Sinnlichkeit im weitesten Sinne: Bedürfnis nach aufmerksame Berührung, Zärtlichkeit, als sinnliches/ sexuelles Wesen wahrgenommen zu werden, bis hin zu klaren erotischen, sexuellen Wünschen und Bedürfnissen.
Wenn diese Bedürfnisse auftauchen ist das pflegerische Umfeld oft überfordert. Es wurde und wird nicht angemessen behandelt in den Ausbildungen. Es wird nicht darüber gesprochen im Team. Es gibt kein Leitfaden seitens der Einrichtung. Es wird manchmal aus Überforderung gelästert oder gekichert. Kein angemessenen / würdigen Umgang für einen so wichtigen Thema.
Welche Möglichkeiten Sexualität direkt zu erleben, sei es mit sich selbst oder auch mit jemand anderem, hat jemand, den man nicht über Aufklärungsmaterialien erreichen kann? Oder der/die sich auf Grund einer Körperbehinderung nicht selbst berühren kann?
Welche Möglichkeiten eine direkte so genannte sexuelle Erfahrung zu machen hat eine Frau oder ein Mann, der/die nicht oder nicht mehr in der Lage ist, das was wir eine Beziehung nennen einzugehen?
Hilflosigkeit, Unwissen aber auch die regelrechte sture Weigerung diese Wünsche/ Bedürfnisse und Sehnsüchte zu beachten, kann zu großer Einsamkeit, emotionalem und körperlichem Verhungern, Zwangshandlungen, Verspannung, Verkrampfung, (Selbst)- Verletzungen, Unzufriedenheit, „übergriffigen“ Verhalten etc., führen.
Es ist wichtig, dass Menschen, die mit (kognitiv -) behinderten oder dementen Menschen arbeiten, eine entspannte, offene Grundhaltung dem Thema Sexualität gegenüber haben. Wenn das nicht der Fall ist, werden sie auch nicht angemessen auf die Bedürfnisse ihrer „Schützlinge“ eingehen können. Sie werden eigene Bedürfnisse projizieren oder das, was sie wahrnehmen, leugnen.
Im Vortrag werden folgenden Themen behandelt:
Was verstehen wir unter Sinnlichkeit?
Was verstehen wir unter Sexualität?
Unsere Normen und Werten diesbezüglich.
Was ist passive Sexualassistenz?
Welche Rolle spielen MitarbeiterInnen und Eltern/ Angehörigen?
Welche Verantwortung hat der Einrichtungsleitung?
Was ist aktive Sexualassistenz und für wen kommt sie in Frage?
Dieser Vortrag / Workshop bietet die Möglichkeit, sich mit dem Thema und der eigenen Haltung intensiver auseinanderzusetzen. Neue Ideen zu bekommen und andere Möglichkeiten des Umgangs wahrzunehmen.
Ziel: einer praktischen und lösungsorientierten Haltung bezüglich dieses Themas.
Dr. Georg Fraberger
von 1994-2000 absolvierte er das Studium der Psychologie in Wien. Danach lebte er ein Jahr in England, Somerset, wo er als psychologischer Assistent für Patienten mit Schädel-Hirn-Traumata, Multipler Sklerose und Schlaganfall in einer neurologischen Abteilung arbeitete. Nach seiner Rückkehr begann er 2001 seine Dissertation, die sich mit dem Konzept Lebensqualität befasst. Seit 2002 arbeitet er im AKH-Wien. Am 03.11.2007 erfolgte die Promotion im Fach Psychologie. Seit 2007 in eigener Praxis tätig, seit 2010 Sachverständiger beim bVa Pensionsservice, Referent in der Facharztausbildung, Seminarleiter in der Personalentwicklung an der MedUniWien sowie Lehrbeauftragter der Uni Wien am Institut für Psychologie. Seit 2013 Buchautor des Buches „Ohne Leib mit Seele“, 2014 erschien das Buch „ein ziemlich gutes Leben“.
Inhaltlich stehen die Fragen was den Menschen ausmacht, was ihn antreibt und wie und weshalb in jedem Körper trotz Krankheit und Leid ein lebenswerter Alltag gestaltet werden soll und kann. Diese Fragen werden wesentlich wenn es darum geht leistungsfähig und stressfrei die Anforderungen von Beruf und Familie bewältigen zu können.n
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